Mein Perspektivwechsel zum Training

Inhalt

In diesem kurzen Blogbeitrag möchte ich über Aspekte des Trainings sprechen, über die ich meine Meinung geändert habe.

Einleitung

Im Fitnessbereich gibt es unzählige Mythen und festgefahrene Überzeugungen. Doch mit zunehmender Erfahrung, neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und eigenen Trainingsergebnissen ändern sich oft die Perspektiven. In diesem Beitrag teile ich einige Aspekte des Trainings, über die ich meine Meinung grundlegend geändert habe. Die Liste ist nicht abschließend, sondern umfasst die für mich wichtigsten und aktuell besonders kontrovers diskutierten Themen.

“Grundübungen sind am besten”

Grundübungen (Bankdrücken, Kniebeuge, Kreuzheben) können gerade zu Beginn der Trainingskarriere gute Fortschritte ermöglichen. Beim Powerlifting sind sie unabdingbar. Dennoch erachte ich die klassischen drei Grundübungen für den reinen Muskelaufbau als überflüssig und überbewertet. Das hat verschiedene Gründe:

  • Der Bewegungsablauf ist komplex und muss sicher beherrscht werden, damit keine Verletzungen entstehen. Dadurch kann die Progression behindert werden. Zusätzlich können anatomische Gegebenheiten (z. B. lange Oberschenkel → Kniebeuge) eine saubere Technik erschweren oder dazu führen, dass die Zielmuskulatur nicht optimal beansprucht wird.
  • Teilweise trainieren die Grundübungen die vermeintliche Zielmuskulatur nur in Teilen. Beim Bankdrücken sind die Schultern und der Trizeps im oberen Drittel der Bewegung sehr aktiv, während die Brustmuskulatur kaum noch arbeitet. Beim Kreuzheben wird die gesamte hintere Kette beansprucht, sodass der Fokus auf eine bestimmte Muskelgruppe entfällt.
  • Ohne „Spotter“ ist es schwierig, nahe am Muskelversagen zu trainieren, da die Gefahr besteht, das Gewicht ablegen zu müssen. Das kann je nach Setup vor allem beim Bankdrücken und bei Kniebeugen zum Problem werden.
  • Die Progression ist schwerer nachzuvollziehen. Bereits kleine Änderungen im Bewegungsablauf können die Hebelverhältnisse beeinflussen, wodurch das Gewicht subjektiv leichter oder schwerer erscheint.

Fazit: Grundübungen („Big Three“) sind nicht zwingend erforderlich, um Muskeln aufzubauen.

“Ein hohes Trainingsvolumen ist Pflicht!”

Das dürfte wohl einer der kontroversesten Punkte sein, da es stark individuell ist. Ich denke, dass generell mit zu viel Volumen trainiert wird und dadurch manche Personen keine Fortschritte machen. In meinem Blogpost habe ich bereits über das Volumen geschrieben (Hier). Das Problem bei hohen Volumina ist die Regeneration. Diese wird unter anderem stark durch Schlaf und täglichen Stress beeinflusst. Laut verschiedenen Statistiken schlafen viele Menschen zu wenig. Ich empfehle jedem, der mehrmals die Woche trainiert, mindestens acht Stunden erholsamen Schlaf. Auch der individuelle Schlafbedarf kann variieren. Da jedoch der Schlaf meist nicht optimal ist und der Stress im Alltag oft hoch, sind die Voraussetzungen für eine hohe Trainingsbelastung oft nicht ideal. Ich würde daher mit einem etwas geringeren Volumen (max. 8 bis 10 Sätze) trainieren und darauf achten, ob ich mich kontinuierlich im Gewicht steigern kann, ohne an Technik zu verlieren.

Fazit: Das Trainingsvolumen ist individuell. Tendenziell reicht ein niedrigeres Volumen aus, um Fortschritte zu erzielen.

“Intensitätstechniken und spezielle Trainingssysteme bringen mehr”

Es gibt eine Vielzahl von Intensitätstechniken und Trainingssystemen, die einen besseren Muskelaufbau versprechen. Dazu zählen Dropsätze, Supersätze, Rest-Pause-Sätze, Negativwiederholungen, 21er-Sätze, Cluster-Sätze, HIIT-Forceoder 5x5. Diese Techniken können der Monotonie regulärer Sätze entgegenwirken und sich subjektiv effektiver anfühlen. In der Regel sind sie jedoch nicht besser für den Muskelaufbau als einfache Sätze. In manchen Fällen können sie das Training effizienter machen, wenn es schneller absolviert werden muss. Ansonsten gibt es kaum Vorteile [1, 2]. Zudem wird das Tracken der Progression erschwert, da jede Satzvariation genau dokumentiert werden muss. Teilweise lassen sich bessere Kraftwerte erzielen, während der Muskelzuwachs unverändert bleibt [3].

Fazit: Spezielle Trainingstechniken sind nicht notwendig, um Fortschritte zu erzielen.

“Der heilige Gral des Muskelaufbaus”

Beim Muskelaufbau gibt es keine universelle Lösung, die für jeden funktioniert. Unsere Genetik, unser Alltag und unsere Trainingshistorie unterscheiden sich – und damit auch die optimalen Trainingsansätze. Was bei Person A hervorragend funktioniert, kann bei Person B kaum Fortschritte bringen – sei es beim Volumen, der Frequenz oder der Übungsauswahl. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig zu analysieren, welche Trainingsvariablen tatsächlich Ergebnisse liefern. Wer stagnierende Fortschritte bemerkt, sollte nicht blind einem neuen Trend folgen, sondern gezielt anpassen und testen, was wirklich funktioniert.

Fazit: Es gibt keinen einfachen, mühelosen Weg zu kontinuierlichem Muskelaufbau. Nur durch Reflexion, Anpassung und konsequentes Training lassen sich langfristige Erfolge erzielen.

“Massephase”

Eigentlich schon Kult – die „Massephase“, bei der nach der Diät bzw. dem Wettkampf übermäßig viele Kalorien aufgenommen werden. Ziel ist es, möglichst „schwer“ und massig zu werden. Leider lassen sich Muskeln nicht „anfuttern“. Die Menge an Muskelmasse, die pro Tag zusätzlich gebildet wird, liegt nach einigen Jahren Trainingserfahrung wahrscheinlich im einstelligen Grammbereich. Wird ausreichend Protein zugeführt, kann eine übermäßige Kalorienzufuhr keinen zusätzlichen Muskelaufbau bewirken. Dies zeigt sich auch daran, dass Anfänger tendenziell selbst im Kaloriendefizit Muskeln aufbauen können. Für erfahrene Athleten reicht daher ein sehr geringer Kalorienüberschuss aus, um die Muskelproteinsynthese zu maximieren [4, 5]. Dadurch lassen sich Minicuts oder jährliche Diäten vermeiden, und die Form bleibt besser erhalten.

Fazit: Ein geringer Kalorienüberschuss reicht aus, um Muskeln aufzubauen.

“Intensität - viel hilft viel”

Es gab eine Zeit, in der ich immer zwei bis drei Wiederholungen vor dem Muskelversagen stoppte, um nicht ins „Übertraining“ zu geraten. Wahrscheinlich habe ich dadurch zu leicht trainiert. Generell scheinen viele Trainierende ihre verbleibenden Wiederholungen falsch einzuschätzen [6, 7]. Zeitweise habe ich auch jeden Satz bis zum Muskelversagen durchgeführt. Gerade in den ersten Wochen waren dadurch große Gewichtssteigerungen möglich, doch danach setzte eine Stagnation ein, und ich fühlte mich zunehmend erschöpft. Nach aktuellen Erkenntnissen kann mit einer breiten Bandbreite an Intensitäten Muskelaufbau erreicht werden [8, 9]. Teilweise erzielen Trainierende mit einer höheren RIR (1–2) („Reps in Reserve“ – Definition) bessere Ergebnisse als mit RIR 0 [8]. Eine Meta-Analyse zeigt, dass zwar nahe am Muskelversagen trainiert werden sollte, jedoch nicht zwangsläufig bis zum vollständigen Muskelversagen bessere Ergebnisse erzielt werden [10]. Eine Meta-Regression zeigt hingegen einen negativen linearen Zusammenhang zwischen RIR und Muskelwachstum [11]. Demnach könnten geringere RIR, also Training bis zum Muskelversagen, größere Muskelzuwächse ermöglichen. Allerdings enthält das Modell eine gewisse Unsicherheit, und die Effektstärken schwanken bei RIR 0 stark. Ich tendiere dazu, mit RIR 1 zu trainieren und gelegentlich einen Satz bis zum Muskelversagen durchzuführen, um meine Einschätzung der RIR zu überprüfen. Die Autor:innen der Meta-Regression [11] betonen, dass die Ergebnisse durch individuelle Fehleinschätzungen der RIR beeinflusst sein könnten. Der zusätzliche Muskelzuwachs zwischen RIR 1 und RIR 0 scheint mir nicht groß genug [12], da die gefühlte Erschöpfung überproportional zunimmt [13, 14] und das Verletzungsrisiko bei dauerhaftem Training am Muskelversagen steigen dürfte. Interessant ist auch, dass bei niedrigen Gewichten und hohen Wiederholungen ein Training bis zum Muskelversagen tendenziell wichtiger ist als bei hohen Gewichten [11].

Fazit: Eine Trainingsintensität von RIR 1–2 dürfte optimal sein, um Muskeln aufzubauen.

Quellen

[1] Krzysztofik, M., Wilk, M., Wojdała, G., & Gołaś, A. (2019). Maximizing Muscle Hypertrophy: A Systematic Review of Advanced Resistance Training Techniques and Methods. International Journal of Environmental Research and Public Health, 16(24), 4897. https://doi.org/10.3390/ijerph16244897

[2] Sødal, L. K., Kristiansen, E., Larsen, S., & van den Tillaar, R. (2023). Effects of Drop Sets on Skeletal Muscle Hypertrophy: A Systematic Review and Meta-analysis. Sports medicine - open9(1), 66. https://doi.org/10.1186/s40798-023-00620-5

[3] Enes, A., Alves, R. C., Schoenfeld, B. J., Oneda, G., Perin, S. C., Trindade, T. B., Prestes, J., & Souza-Junior, T. P. (2021). Rest-pause and drop-set training elicit similar strength and hypertrophy adaptations compared with traditional sets in resistance-trained males. Applied physiology, nutrition, and metabolism = Physiologie appliquee, nutrition et metabolisme46(11), 1417–1424. https://doi.org/10.1139/apnm-2021-0278

[4] Helms, E. R., Spence, A. J., Sousa, C., Kreiger, J., Taylor, S., Oranchuk, D. J., Dieter, B. P., & Watkins, C. M. (2023). Effect of Small and Large Energy Surpluses on Strength, Muscle, and Skinfold Thickness in Resistance-Trained Individuals: A Parallel Groups Design. Sports medicine - open9(1), 102. https://doi.org/10.1186/s40798-023-00651-y

[5] Slater, G. J., Dieter, B. P., Marsh, D. J., Helms, E. R., Shaw, G., & Iraki, J. (2019). Is an Energy Surplus Required to Maximize Skeletal Muscle Hypertrophy Associated With Resistance Training. Frontiers in nutrition6, 131. https://doi.org/10.3389/fnut.2019.00131

[6] Bastos, V., Machado, S., & Teixeira, D. S. (2024). Feasibility and Usefulness of Repetitions-In-Reserve Scales for Selecting Exercise Intensity: A Scoping Review. Perceptual and motor skills131(3), 940–970. https://doi.org/10.1177/00315125241241785

[7] Mansfield, S. K., Peiffer, J. J., Hughes, L. J., & Scott, B. R. (2020). Estimating Repetitions in Reserve for Resistance Exercise: An Analysis of Factors Which Impact on Prediction Accuracy. Journal of strength and conditioning research, 10.1519/JSC.0000000000003779. Advance online publication. https://doi.org/10.1519/JSC.0000000000003779

[8] Refalo, M. C., Helms, E. R., Robinson, Z. P., Hamilton, D. L., & Fyfe, J. J. (2024). Similar muscle hypertrophy following eight weeks of resistance training to momentary muscular failure or with repetitions-in-reserve in resistance-trained individuals. Journal of sports sciences42(1), 85–101. https://doi.org/10.1080/02640414.2024.2321021

[9] Ruple, B. A., Plotkin, D. L., Smith, M. A., Godwin, J. S., Sexton, C. L., McIntosh, M. C., Kontos, N. J., Beausejour, J. P., Pagan, J. I., Rodriguez, J. P., Sheldon, D., Knowles, K. S., Libardi, C. A., Young, K. C., Stock, M. S., & Roberts, M. D. (2023). The effects of resistance training to near failure on strength, hypertrophy, and motor unit adaptations in previously trained adults. Physiological reports11(9), e15679. https://doi.org/10.14814/phy2.15679

[10] Refalo, M. C., Helms, E. R., Trexler, E. T., Hamilton, D. L., & Fyfe, J. J. (2023). Influence of Resistance Training Proximity-to-Failure on Skeletal Muscle Hypertrophy: A Systematic Review with Meta-analysis. Sports medicine (Auckland, N.Z.)53(3), 649–665. https://doi.org/10.1007/s40279-022-01784-y

[11] Robinson, Z. P., Pelland, J. C., Remmert, J. F., Refalo, M. C., Jukic, I., Steele, J., & Zourdos, M. C. (2024). Exploring the Dose-Response Relationship Between Estimated Resistance Training Proximity to Failure, Strength Gain, and Muscle Hypertrophy: A Series of Meta-Regressions. Sports medicine (Auckland, N.Z.)54(9), 2209–2231. https://doi.org/10.1007/s40279-024-02069-2

[12] Arede, J., Vaz, R., Gonzalo-Skok, O., Balsalobre-Fernandéz, C., Varela-Olalla, D., Madruga-Parera, M., & Leite, N. (2020). Repetitions in reserve vs. maximum effort resistance training programs in youth female athletes. The Journal of sports medicine and physical fitness60(9), 1231–1239. https://doi.org/10.23736/S0022-4707.20.10907-1

[13] Refalo, M. C., Helms, E. R., Hamilton, D. L., & Fyfe, J. J. (2023). Influence of Resistance Training Proximity-to-Failure, Determined by Repetitions-in-Reserve, on Neuromuscular Fatigue in Resistance-Trained Males and Females. Sports medicine - open9(1), 10. https://doi.org/10.1186/s40798-023-00554-y

[14] Santos, W. D. N. D., Vieira, C. A., Bottaro, M., Nunes, V. A., Ramirez-Campillo, R., Steele, J., Fisher, J. P., & Gentil, P. (2021). Resistance Training Performed to Failure or Not to Failure Results in Similar Total Volume, but With Different Fatigue and Discomfort Levels. Journal of strength and conditioning research35(5), 1372–1379. https://doi.org/10.1519/JSC.0000000000002915

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