Die richtige Übungsauswahl
- Dr. Nils Fitting
- Übungen
- 19. Dezember 2024
Inhalt
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit der richtigen Übungsauswahl, um selbst sinnvolle Entscheidungen in Bezug auf die Trainingsgestaltung treffen zu können.
Einleitung
Es gibt sicherlich über 1000 verschiedene Übungen, um eine Muskelgruppe zu trainieren, wenn alle Hersteller von Trainingsgeräten und alle Übungsvariationen einbezogen werden. Doch wie finde ich die richtige Übung? Diese Frage möchte ich in diesem Beitrag klären. Teilweise werden bestimmte Übungen in den sozialen Medien „gepusht“, ohne die genauen Gründe für eine gute oder schlechte Übung zu kennen. Dabei ist es jedoch wichtig zu verstehen, warum eine Übung in den Trainingsplan Einzug erhält oder eben nicht, um auf die eigenen Bedürfnisse eingehen zu können. Die folgende Aufzählung enthält eine Reihe an Kriterien, die ich für den Einsatz einer bestimmten Übung heranziehe.
Anmerkung: Unter dem Begriff „Übung“ verstehe ich einfach einen bestimmten Bewegungsablauf für eine Muskelgruppe. Das umfasst auch Geräte und Seilzüge. Breites Rudern ist zwar eine Übung, kann jedoch am Gerät, am Kabelturm oder frei durchgeführt werden. Für jeden Typ gibt es nochmals verschiedenste Variationen bzw. Geräte (Plateloaded vs. Steckgewichte usw.). Demnach ist für mich „Breites Rudern am Turm“ eine andere Übung als „Breites Rudern mit der Langhantel“.
Kriterien
Sicherheit
Eine Übung sollte schmerzfrei trainiert werden können und langfristig auch nicht zu Schmerzen und Verletzungen führen. Erstens wird dadurch das Verletzungsrisiko gesenkt und zweitens kann durch das negative Feedback (= der Schmerz) die Muskelaktivierung wahrscheinlich abnehmen, da auch Mental Fatigue zu einer höheren empfundenen Anstrengung führt [1].
Ziel
Welches Ziel verfolge ich mit dem Training? Möchte ich in einer bestimmten Übung stärker werden, muss ich genau diese Übung trainieren, um beispielsweise den Bewegungsablauf zu perfektionieren. Das spielt insbesondere im Powerlifting eine Rolle, wo tendenziell die „Big 3“ (Squats, Deadlifts, Benchpress) trainiert werden. Möchte ich hingegen möglichst viele Klimmzüge schaffen, empfiehlt es sich, Klimmzüge zu trainieren. Geht es mir generell um einen optimalen Muskelzuwachs, erfolgt die Übungsauswahl an den nachfolgenden Kriterien.
Muskelgruppe
Dieser Punkt erscheint offensichtlich und dennoch möchte ich ihn in die Liste aufnehmen. Zu jedem Zeitpunkt sollte einem bewusst sein, welche Muskelgruppen eine Übung trainiert. Nur so kann ich gewährleisten, genügend Reize (=Volumen) für eine Muskelgruppe zu setzen. Welche Übung welche Muskelgruppe trainiert, beruht auf Erfahrung und dem anatomischen Wissen über einen Muskel (-> Nachlesen). Einige Apps geben auch Vorschläge, allerdings sollte beachtet werden, dass nicht jede Übung alle Muskelgruppen gleichermaßen trainiert (s. Exkurs).
Exkurs: Bei Mehrgelenksübungen (Multi-joint Exercises) sind das häufig mehrere Muskelgruppen, womit sich ein gewisses „Überlappungsvolumen“ ergibt. Das bedeutet, dass beispielsweise Bankdrücken nicht nur die Brust, sondern auch den Trizeps und die vordere Schulter trainiert. Die Beteiligung anderer Muskelgruppen ist insbesondere vom jeweiligen Bewegungsabschnitt der Übung abhängig. Bei dem eben genannten Beispiel wird der Trizeps und die vordere Schulter vor allem am Ende der konzentrischen Phase trainiert, während die Brust eher in der Dehnung trainiert wird.
Progression
Ein Muskel wächst durch mechanische Reize. Übersteigt dieser Reiz eine gewisse Schwelle, beginnt der Muskel sich anzupassen und zu wachsen. Nach dieser Anpassung ist der Muskel in der Lage, mehr Kraft zu erzeugen und damit mehr Gewicht zu bewegen. Aus diesem Grund sollte das Arbeitsgewicht regelmäßig erhöht werden, wenn eine Anpassung stattgefunden hat. Mit steigendem Muskelwachstum kann über die Zeit hinweg mehr Gewicht bewältigt werden. Es empfiehlt sich daher, Übungen auszuwählen, die eine gewisse Gewichtssteigerung zulassen. Natürlich können immer mehr Wiederholungen gemacht werden, um sich dem Muskelversagen anzunähern. Allerdings erachte ich es als unproduktiv, 20 Wiederholungen oder mehr bei einer Übung zu absolvieren, da es auch immer schwieriger wird, das Muskelversagen richtig abzuschätzen [2]. Um also in einem bestimmten Wiederholungsbereich zu bleiben, muss das Gewicht stetig gesteigert werden können.
Exkurs: Das Phänomen ist unter „Progression Overload“ bekannt und wird oft falsch verstanden. Erst, wenn eine Anpassung stattgefunden hat, kann das Gewicht oder die Wiederholung gesteigert werden. Dadurch lässt sich der Trainingsfortschritt sehr gut beobachten.
Widerstandskurve und Bewegungsradius
Jede Übung hat eine bestimmte Widerstandskurve, wodurch sich der Widerstand je nach Bewegungsabschnitt ändert oder auch nicht. Es existieren beispielsweise Übungen, bei denen der konzentrische oder der exzentrische Bewegungsablauf überladen wird. Teilweise ist die Widerstandskurve auch ausgeglichen. Die Widerstandskurve nimmt maßgeblich Einfluss darauf, welche Muskelgruppe überwiegend beansprucht wird. Bei der Brustpresse beispielsweise sollte die maximale Last eher in der Dehnung bestehen, wenn ich damit die Brust trainieren möchte. Gleichzeitig wäre es ungünstig, wenn ich nicht sehr weit in die Dehnung (-> Bewegunsgradius) bei dieser Übung gelange.
Einfachheit
Eine Übung sollte einfach im Aufbau und in der Durchführung sein. Viel mehr muss dazu nicht gesagt werden, glaube ich.
Stabilität
Eine Übung sollte möglichst stabil sein. Es gibt Daten, die darauf hindeuten, dass freie Gewichte möglicherweise die Muskelaktivierung verringern [3]. Andererseits fand eine Meta-Analyse keine signifikanten Unterschiede zwischen freien Gewichten und Maschinen, wobei die Gruppe, die an Maschinen trainierte etwas mehr an Muskelwachstum zeigte [4].
Quellen
[1] Van Cutsem, J., Marcora, S., De Pauw, K., Bailey, S., Meeusen, R. & Roelands, B. (2017). The Effects of Mental Fatigue on Physical Performance: A Systematic Review. Sports Medicine, 47(8), 1569–1588. https://doi.org/10.1007/s40279-016-0672-0
[2] Pérez-Castilla, A. (2024). Estimating Repetitions in Reserve During the Bench Press Exercise: Should We Consider Sex and the Exercise Equipment? Sports Health A Multidisciplinary Approach. https://doi.org/10.1177/19417381241285891
[3] Van den Tillaar, R. & Larsen, S. (2020). Kinematic and EMG Comparison Between Variations of Unilateral Squats Under Different Stabilities. Sports Medicine International Open, 4(02), E59–E66. https://doi.org/10.1055/a-1195-1039
[4] Schwanbeck, S. R., Cornish, S. M., Barss, T. & Chilibeck, P. D. (2020). Effects of Training With Free Weights Versus Machines on Muscle Mass, Strength, Free Testosterone, and Free Cortisol Levels. The Journal Of Strength And Conditioning Research, 34(7), 1851–1859. https://doi.org/10.1519/jsc.0000000000003349